Sonntag, 18. Dezember 2011

weiss in weiss

Ist er nicht wunderschön, denke ich, am Fenster stehend und ins weisse Wirbeln blickend. Der erste Schnee, lächle ich und denke daran, wie ich auch als Kind staunend nach draussen geschaut hatte. Er hat nichts von seinem Zauber eingebüsst, denke ich, auch wenn ich nicht mehr strahlend durch die Flocken tanzen kann. Wie viel sich doch verändert hat seit damals.

Schnee entsteht, wenn sich feinste Wassertröpfchen an Staubpartikel anlagern und gefrieren. Dieser Prozess setzt bei minus zwölf Grad ein.

Zauberflocken, denke ich, kleine Tänzerinnen die durch die Luft schweben. Hast du jemals in den Schnee gestarrt und einzelne Flocken mit den Augen verfolgt, hätte ich dich gerne gefragt. Doch der Schnee hatte dich mir geraubt. Du kannst meine Frage nicht mehr beantworten.

Aufgrund ihrer grossen Oberfläche haben Schneeflocken einen hohen Luftwiderstand und fallen mit Geschwindigkeiten von lediglich 4 km/h. Und mit einem Kopfschütteln, frage ich mich wer die Idee hatte dies zu messen.

Hinter den Scheiben spielen Kinder. Ich sehe ihr Schreien und Lachen, auch wenn ich sie nicht hören kann. Ich erinnere mich an meine Kindertage und träume von jener Unbeschwertheit. Zu schnell musste ich erwachsen werden, sage ich zum Mondschaf.

Die Stille des Schnees macht uns einsam, sage ich zu dir. Weil die Kälte die Menschen trennt. Wenn es schneit bröckelt die Hülle, die ich um meine Seele gebaut hatte, denke ich wütend. Und ich hasse ihn dafür trotz seiner Schönheit. Der Schnee zwingt mich meinen Gedanken zu lauschen weil vor dem Fenster alles Weiss ist.

Schnee besteht aus Eiskristallen, lese ich. Jeder Kristall ist transparent. An den Grenzflächen wird das Licht gestreut. Eine Ansammlung von Eiskristallen führt zu diffuser Reflexion und Schnee erscheint weiss, schreibt das Lexikon.

Es gibt keine Wege zurück, selbst wenn ich wollte, denke ich. Wieder und wieder hatte ich jene Streitgespräche mit der einäugigen Hexe geführt. Ich hatte den Teufel um Rat gebeten und ihm mein Herz zum Tausch angeboten, damals. Mit einem Lächeln erinnere ich mich an sein unwirsches Eingeständnis, dass selbst er gegen den Tod nichts auszurichten wisse.

Die unterschiedlichen Formen der Schneekristalle hängen von der Temperatur ab, steht da geschrieben. Die ausgeprägte Symmetrie habe sie zu einem Vorzeigebeispiel der fraktalen Geometrie werden lassen.

Der Schnee tanzt seinen stummen Reigen, während die Musik in meinen Ohren dröhnt und dem Schmerz eine Stimme verleiht. Ich hatte geglaubt alle Tränen seien geweint. Ich lag falsch.

Heute meist stark bewölkt und zeitweise Schneefall. Nachmittags nachlassende Schauerneigung und Aufhellungen. Schwacher bis mässiger Westwind. Bitte lieber Wind, bringe mir schönere Gedanken mit, flehe ich.

Sonntag, 11. Dezember 2011

bis zum frühling

Es war ein warmer Dezembertag, denke ich. Einzig die früh hereinbrechende Nacht erinnerte an den Winter. Ich habe zum Himmel geblickt. Die Wolken verloren ihr letztes Tageslicht und ein Bruchstück meines Herzens erlosch mit ihnen. Es sollte nicht sein, sage ich traurig zu mir selbst. Und die Vernunft fügt an, es ist das Richtige.

Ich habe anders geträumt, denke ich und sage wütend, so enden Märchen nicht. Doch das Leben ist kein Märchen, belehre ich die Hoffnung. Hat dir dies niemand erklärt?

Über Monate hatte die Spinne ihr Netz gewebt. Ein glitzerndes Gebilde aus Licht und Lügen. Faden an Faden geklebt, bis das ganze Hirn einem eingesponnen Insekt glich. Es war wehrlos, denke ich, verblendet und betäubt von ihrem Gift. Sie hatte eine andere Zukunft gemalt, sage ich vorwurfsvoll. Und ich denke an das trügerische Glück, das ich zu sehen glaubte.

Traurige Stille betäubt die Ohren und durchtränkt schleichend die Glieder. Die vor wenigen Stunden noch aufgewühlten Gedanken schweigen. Zum ersten Mal, seit Monaten, denke ich und lausche der Ruhe. Sie ist schön, trotz des Schmerzes, sage ich mir lächelnd.

Ich suche nach den Bilder deiner Bernsteinaugen und nehme sie aus meinem Kopf. Ich packe sie in eine Schachtel und lege die Erinnerungen an den Sommer dazu. Verzweifelt weine ich über ihren Blut befleckten Leichen. Es waren nur Traumbilder, denke ich und schaudere beim Gedanken an die haarigen Beine, die sich durch meine Gedanken gegraben hatten. Es war niemals echt, sage ich leise.

Ich warte auf die Kälte, die meine Tränen zu Schneeflocken gefrieren lassen wird. Wie zarte glitzernde Eiswatte, die den Schmerz bedeckt, denke ich. Sie wird tauen, sage ich tröstend zu mir selbst, beim nächsten Frühling. Nein, bei der nächsten Lüge, flüstert die Enttäuschung böse.

Samstag, 10. Dezember 2011

Dienstag, 29. November 2011

eisprinzessin II

21x22cm, acry und touche auf papier


Sonntag, 27. November 2011

eisprinzessin

Ich habe die Tränen weg geduscht und ein Lächeln auf mein Gesicht gepinselt. Ich bin eine gute Künstlerin, denke ich und das Lächeln ist meine Königsdisziplin. Ich bin schön und stark, sage ich laut zu mir selbst, bis ich es glaube. Und ich schaue mir im Spiegel streng in die Augen. Schweig, habe ich das Loch zwischen meinen Lungenflügeln an geherrscht. Sei still, es hilft nichts mehr.

Barfuss schreitet die Eisprinzessin durch den Schnee. Weiss das Gewand, weiss der Schnee. Eisaugen, welche die Seelen jener fressen, welche unachtsam ihr Herz verschenken. Sie lächelt das unnahbare Lächeln jener, welche kein Herz mehr besitzen.

Kann man sein Herz gegen Stein eintauschen, frage ich die einäugige Hexe. Mein Herz soll einem Diamanten gleichen: schön, begehrenswert und unzerstörbar. Es würde glänzen und schweigen, denke ich. Und ich träume von der wunderbaren Stille in meiner Brust.

Warum muss Liebe jedes Mal in Leiden enden, frage ich, während der Wecker unerbittlich weiter tickt. Ich denke an seine Bernsteinaugen und schüttle traurig den Kopf. Entweder du verletzt oder wirst verletzt, erkläre ich dem Mondschaf. Es gibt keine anderen Optionen. Dies hatte mich die Vergangenheit gelehrt und sie war eine gnadenlose Lehrerin gewesen. Wieso sollte es jemals anders sein, sage ich anklagend.

Weiss in weiss. Der kalte winterblaue Himmel über uns. Meine nackten Füsse schmerzen im Schnee während ich die Arme enger um die Brust schlinge. Eisprinzessin, wer hat dein Herz in Kristall verwandelt, frage ich. Der Wind spielt mir ihrem langen Haar, zerrt an dem dünnen weissen Gewand. Verrate mir dein Geheimnis, bettle ich. Ich will werden wie du, denn die Liebe schmerzt zu sehr.

Was bezahlst du, fragt mich die einäugige Hexe und ihre Augen verengen sich als sie mich prüfend anblickt. Was immer du willst, sage ich - und bereue die Antwort sogleich. Jeder weiss, dass man sie stets zu teuer bezahlt. Die Einäugige führt mich grinsend durch die Regale der kleinen Kammer. Ich schau mir die Steinherzen an, die stumm aufgereiht auf den Brettern liegen. Es müssen Tausende sein, denke ich.

Schicht für Schicht grabe ich in meinen Erinnerungen. Schlaflos drehe ich mich im Bett und blättere durch die Seiten meinen Lebens. Gar was als Glück begann endete in glitzernden Scherben. Wie oft habe ich die Bruchstücke meines Herzens bereits wieder zusammen geklebt, frage ich die Stille der mondlosen Nacht.

Welches Herz willst du Kleines, fragt die Einäugige nach einer Weile. Ich schreite nochmals durch die Reihen, schaue mir jedes Einzelne an. Hat es keins für dich dabei, fragt sie höhnisch. Ich schüttle verzweifelt den Kopf und schaue sie ratlos an. Sie lacht. Du bist zu früh gekommen, Schätzchen. Und jetzt bezahle mich. Gib mir einen deiner Wirbel. Sie zückt ihr Messer. Als die Klinge meinen Rücken berührt, schrecke ich auf. Am Horizont zeigt sich der erste Schimmer des nahenden Tages.

Mit Bedacht wähle ich den schönen Pullover. Trinke den Kaffee und schenke meinem Spiegelbild ein Lächeln, sprühe Haarspray darauf. Ich darf es nicht verlieren. Nichte heute. Er wird da sein, denke ich. Eisprinzessin, ich bin nicht wie du. Noch nicht. Weil die verdammte Hoffnung zuletzt stirbt. Weil mein einfältiges Herz noch immer schlägt.

Sonntag, 20. November 2011

murdered souls

ein triptichon, 3 bilder à 31x70cm, acryl und touche auf karton





the first one
fate stabed
when he passed away

the second
i slaughtered
'cause it wasn't meant to be

the third is
still bleeding
it wouldn't take too long
they said

Sonntag, 6. November 2011

insomnia

Kennst du die Stunden, wenn sich die Minuten zu Ewigkeiten dehnen? Kennst du die Nächte in denen du wach liegst und dem leisen Ticken des Weckers auf dem Nachttisch lauschst, weil sich der Schlaf unter dem Bett versteckt? Nächte, wenn die Gedanken Runde um Runde im Grosshirn drehen, rastlos und unruhig? Es sind jene Fragen, auf welche es keine Antworten gibt, die mich wach halten, sage ich zu dir. Es ist der Schmerz über die Unmöglichkeit meiner Träume. Weil die Ungeheuer immer wieder hinter den Ecken hervor kriechen.

Zähle Schafe, hatte mir Papa jeweils geraten, wenn ich nicht einschlafen konnte. Insomnia war schon immer meine Begleiterin in jenen Nächten voller Zweifel. Leise steht sie im Zimmer. Silbern glitzern ihre kurzen Haare im Mondlicht. Ihre zerbrechliche Gestalt zeichnet sich vor dem nachtblauen Fenster ab, während ein feines Lächeln ihre Lippen umspielt. Sie ist die Herrin jener schlaflosen Ewigkeit, erkläre ich dir. Manche Dinge ändern sich nie, denke ich. Lediglich die Fragen sind andere geworden.

Hundert-achtundzwanzig, hundert-neunundzwanzig. Ich zähle die Sekunden. Ich zähle meine Atemzüge. Ich zähle die Ungeheuer mit ihren leuchtend grünen Augen und den kleinen scharfen Zähnchen, welche sie mir zeigen wenn sie fauchend durch meine Gedanken schleichen. Papa, glaubst du wirklich sie zu zählen hilft, frage ich die Stille.

Es ist der Fluch des Warums, sage ich zu dir. Hast du Antworten, frage ich wütend und schaue in deine Bernsteinaugen. Sag mir wieso, flehe ich.

Zweihundert-fünfzehn, zweihundert-sechzehn, zweihundert-siebzehn. Ich ergebe mich. Und lausche der endlosen Symphonie der Verzweiflung.

Ich denke an damals und beschwöre die Erinnerungen herauf. Damals war ich glücklich, denke ich. Und erinnere mich, wie ich mir jeweils im Spiegel selbst zu gelächelt hatte, bevor ich herum wirbelte und ins Leben zurück rannte. Es waren Sonnentage gewesen und die Nacht um mich herum scheint noch dunkler, als die Bilder in sich zusammen stürzen. Es ist eine Fatamorgana, sage ich traurig zu mir selbst. Sobald man sich nähert zerfällt sie zu Staub.

Dreihundert-zwölf, sage ich verärgert, weil ich schlafen muss. Und ich rechne wie viel Schlaf mir bis zum Morgen noch bleibt. Bereits jetzt hasse ich den Wecker, der dem Vergessen ein jähes Ende setzten wird. Fünf Stunden dreiundzwanzig Minuten. Verdammt. Und ich denke an den müden Tag, der mir bevor steht.

Die Stille drückt auf meine Ohren. Es ist die bleierne Stille einer Nacht, in welcher gewöhnliche Menschen schlafen. Irgendwo bellt ein Hund im Traum. Zwei Stimmen gehen durch die Strassen. Ein Auto fährt vorbei. Bevor sich die Tonlosigkeit wieder über die Stadt senkt und die Stille in meinem Kopf weiter dröhnt. Das Universum ist immer stumm, denke ich. Die Sterne schweigen, während die Menschen Lärm machen um nicht nachdenken zu müssen. In diesem Moment wünsche ich mir nichts sehnlicher als jenen Lärm, der meinem Grübeln ein Ende setzten würde.

Fünfhundert-zweiundsechzig, flüstere ich, bevor der Schlaf endlich sanft und leise mein Gehirn mit seinen Samthänden umfasst und meine Zweifel zum schweigen zwingt.

Sonntag, 30. Oktober 2011

budapest and the happy communism

hungary was the most reform-minded communist state in eastern europe and so its revolution was the least dramatic. [...] in the 1960s, hungary experimented with free-market reforms, known as "goulash communism". [...] in january 1989 the hungarian parliament voted to allow freedom of association and assembly, a move which legitimised the new political parties that were beginning to form. multi-party elections were scheduled for the following year. (auszug aus bbc news)

die geschichte folgt mir auf den fersen. sie ist überall. ich höre, lese, lerne. stück für stück.





Samstag, 29. Oktober 2011

praha - der fluch der schönheit

in der hauptstadt prag wurden im zweiten quartal 2010 mit 1,2 millionen touristen um 8,9 prozent mehr gäste registriert als im vergleichszeitraum des vorjahres. die zahl der nächtigungen stieg um 6,4 prozent auf 3,2 millionen. (radio praha)





Freitag, 28. Oktober 2011

warszawa - wiederauferstanden aus den ruinen

"warschau muss dem erdboden gleichgemacht werden und es soll in dieser hinsicht ein abschreckendes beispiel für ganz europa geschaffen werden." (heinrich himmler)
by january 1945 85% of the buildings were destroyed: 25% as a result of the uprising, 35% as a result of systematic german actions after the uprising, and the rest as a result of the earlier warsaw ghetto uprising and the september 1939 campaign. (auszug aus wikipedia)

warschau: eine stadt zwischen geschichte und alltag.





Donnerstag, 27. Oktober 2011

jewish cemetery in warsaw

founded in 1806, the cemetery consists of 82 acres and contains the remains of approximately 250000 people. unfortunately, the nazis burned the cemetery's records, so no one really knows how many are buried here. (auszug aus about.com, part of the new york times company)





Mittwoch, 26. Oktober 2011

grossstadtgefühle - berlin

berlin ist in aller munde. seit dem fall der mauer schaut die welt staunend auf die deutsche hauptstadt. die stadt in der mitte europas, die sich in einem atemlosen tempo wandelt und längst noch nicht zu ruhe kommen will. eine moderne und multinationale metropole, die am liebsten sich selbst zum ereignis macht. die geradezu süchtig ist nach dem neuen, dem experiment.
(auszug aus meinem reiseführer)





Montag, 24. Oktober 2011

buda und pest

donaustadt. zweite heimat der monarchen von österreich-ungarn. ein neues universum wo danke köszönöm heisst und mit forint bezahlt wird.
die herbstsonne lacht mir jeden morgen ins gesicht. kalt ist es totzdem.






Sonntag, 23. Oktober 2011

praha

berühmte schlösser und türme, welche die touristen aus aller welt in ihren bann ziehen. die karlsbrücke gleicht einer ameisenstrasse. es ist die stadt der könige von böhmen. auch hier vollzieht sich der wandel vom postkommunismus zur moderne.



Samstag, 22. Oktober 2011

warszawa

eine stadt, welche ich nicht verstehe. irgendwo zwischen gefälschem historischem zentrum, kommunistischen plattenbauten und modernen wolkenkratzer gestrandet. nicht wirklich schön, aber vielleicht gerade deswegen spannend.




Freitag, 21. Oktober 2011

berlin, berlin

berlin ist gross und grün. laut und riecht nach baustelle. der fernsehturm hatte beim bau eine höhe von 365m und der ku'damm ist auch blos eine breite strasse.




Montag, 10. Oktober 2011

prepraszam

Hilflos habe ich gelächelt und in seine Augen geschaut. Erst auf den Stadtplan gedeutet und dann fragend die Schultern hochgezogen. Ihm das Geld für die Fahrkarte hingehalten. Er schüttelt den Kopf und ein unverständlicher Regen ergiesst sich über mich. Schaue ihn nochmals an. Halte die Münzen hin. Er schüttelt den Kopf, genervt, öffnet die Tür. Ich steige aus. Ziehe mir die grüne Mütze über den Kopf, wickle meinen Schal enger und gehe die Dreiviertelstunden zu Fuss.

Ohne Worte ist man von der Welt durch einen stummen Vorhang getrennt. Den Mund verschlossen mit unsichtbarem Klebeband. Die Strassen wimmeln von Sätzen. Doch ich höre nur Musik.

Guten Tag, sage ich. Denn dies habe ich gelernt. Guten Tag und ich deute auf das leere Feld wo die Briefmarke hingehört und dann auf die Adresse. Ja? Es folgt ein unverständliches Lied, doch ich kann der Melodie entnehmen, dass sie wissen möchte ob ich es schnell schicken will. Tak, sage ich, ja. Auch dieses Wort kenne ich. Sie hält mir einen Zettel hin, auf welchen sie den Preis geschrieben hat, weil sie gemerkt hat, dass ich nicht verstehe. Als ich die Marken in den Händen halte, strahle ich.

Ohne Worte ist es einsam. Wie in ein Vakuum eingewickelt nur mit sich selbst, obwohl da so viele Menschen sind. Und ich denke an all jene, welche in einem fremden Land ein neues Leben beginnen.

Wieso haben sie den verdammten Turm zu Babel gebaut, damals, frage ich mich selbst, denn sonst gibt es niemanden, den ich hätte fragen können. Und ich lächle über meine eigene Dummheit. Die Welt ist gross, sage ich zu mir. Auch wenn sie kleiner geworden ist.

Sprache ist das Kleid der Seele, denke ich, und Worte sind die Schuhe der Gedanken. Ohne Worte können sie nicht laufen und bleiben Gefangene des Gehirns. In diesem Land haben meine Gedanken keine Schuhe.

Ich höre dem Akkordeonspieler zu, der auf den Marktplatz mit seinen Lieder füllt. Ich schaue ihn an und lege einige Münzen in seinen Koffer. Ich klatsche Beifall und neige den Kopf. Ich lächle entschuldigend, weil ich keine Sätze besitze. Er lächelt zurück. Er versteht. Vielleicht.

Freitag, 7. Oktober 2011

und wir dachten wir wären anders

Niemals, haben wir gesagt, niemals, und haben den Kopf über jene geschüttelt, die damals gejubelt haben. Wir haben jene verachtet, die um ihr Leben schwiegen. Wir hätten anders gehandelt, sagten wir überzeugt.

Damals war Krieg und jetzt sind wir frei, sage ich zu dir.

Ich denke an die alten, körnigen Schwarzweissfotografien der Ruinen. Das einzige was von der einst stolzen Stadt übriggeblieben ist. Es war Krieg. Und ich wiederhole das Wort in meinem Kopf. Es ist nur ein Wort, denke ich. Denn wir kennen ihn nicht, den Krieg. Der Krieg, der ist anderswo. Es gibt ihn einzig in den Abendnachrichten, die bläulich durch die Wohnzimmer flackern.

Niemals, sagten wir. Wir hätten ihre Lügen nicht geglaubt. Es war absurd, und wir ziehen, ungläubig über deren Dummheit, die Augenbrauen hoch. Wie konnten sie sich so sehr irren, fragen wir entsetzt.

Wenn dir jeder sagt, die Tasse heisse Tisch, wie lange dauert es bis du es glaubst, frage ich dich.

In meinen Kopf wirbeln die Bilder der Mörder und der Opfer durcheinander, die wir gesehen hatten. Gesichter wie die unseren. Hast du ihre Augen gesehen, die von einer besseren Welt träumten? Genau wie wir, sage ich.

Es gab die Mutigen, erwiederst du. Jene die wussten, dass die Tasse Tasse hiess und sich nicht vom allgemeinen Geschrei über den Tisch beirren liessen.

Doch hätten wir dazugehört? Hätten wir am Ende nicht doch an die Lüge vom Tisch geglaubt? Ich schaue in deine Bernsteinaugen und wünschte, sie würden meine Zweifel zu zerstreuen vermögen. Sage mir, dass es anders gewesen wäre, fleht mein Blick.

Ich sage zu dir, jeder ist sich selbst der Nächste, und mein Magen zieht sich zu einem harten Klumpen zusammen, weil ich weiss, dass es wahr ist.

Du schweigst. Die Wahrheit weht eisig durchs warme Café und frisst die Worte.

Man hat immer eine Wahl, sage ich leise. Doch hätten wir richtig gewählt, damals?
Mutlos schüttle ich den Kopf. Die Zweifel haften klebrig am Gehirn und lassen sich nicht abschütteln.

Die Tassen klappern und das emsige Geschwätz dringt an meine Ohren. Jemand lacht laut und herzhaft auf. Für sie ist es ein gewöhnlicher Abend, denke ich und beneide sie um ihre Unbeschwertheit.

Mit einem Stirnrunzeln schaust du mich an. Ich zeichne ein Lächeln auf mein Gedicht und wende es dir zu. Du knuffst mich in die Seite und lachst. Es ist kein Krieg. Und ich will dir nicht den Tag verderben.

Freitag, 30. September 2011

lila sommer - auzüge

ein bilderbuch in tagebucheinträgen und postkarten
tagebucheinträge 21x21cm, collage, acryl, kugelschreiber auf papier







PROLOG

Es scheint mich in viele kleine Stücke zu zerreissen. In mir wütet ein Wirbelsturm der in viele verschiedene Richtungen zerrt. Ich bräuchte mehr als ein Leben. Aber die meisten Menschen haben nur ein Leben. Vielleicht gehöre ich nicht zu den meisten Menschen. Vielleicht kann man sich, wenn man nur genügend fest will, mehr als eine Realität schaffen.

Dies war der Anfang von Lila Sommer. Lila war ein Experiment, ein Gedankenspiel.
Ich war Lila und Lila war ich. Lila war alles was ich nicht war. Und Lila tat was ich mich nicht traute.

Anfangs ging es gut, denn ich und Lila waren uns meistens einig. Doch dann verliebte sich Lila in Janosha und ich mich in Christian.

Lila war Malerin.

Mein Leben war deutlich eintöniger. Die Abschlussprüfungen schlossen ihre Krallen täglich enger um mein Hirn und ich verbrachte lange Tage in der Bibliothek hinter hohen Stapeln dicker Bücher. Aus offensichtlichen Gründen gewann ich in diesen Wochen die Oberhand, da auch Lila einsah, dass es in diesem Augenblick für uns gewisse Prioritäten geben musste. In diesen Wochen habe ich mich in Christian verliebt. Es war natürlich keine Absicht gewesen und es stellte mich und Lila vor unlösbare Probleme.

Donnerstag, 29. September 2011

lila sommer - auszüge II

ein bilderbuch in tagebucheinträgen und postkarten
postkarten 13x18.5cm, collage, acryl, touche auf papier