Montag, 28. März 2011

lieber nachtfaltermann oder von lily für daniel

15 postkarten, 20x14.5cm, collage, acryl, touche, kreide, kugelschreiber auf karton



21. August - Lieber Daniel
Ich bin gut angekommen. Zurück in einem Leben das sich obwohl es meins ist, fremd anfühlt. Die Räume haben schweigend gewartet. Auf mich. Denke an das Leben, dass hier ohne mich weitergegangen ist. Und an jenes das nun dort ohne mich weiter geht. Weil Menschen nur da oder dort sein können. Wenn ich plötzlich verschwinden würde, würde mich jemand vermissen?
Irgendwann würde der Briefkasten überquellen. Das würde der Postbote merken und Frau Ulrich. Im Spital würden sie sich wundern, verzweifelt einen Ersatzplan zusammen stellen und darüber fluchen wie ich sie einfach so im Stich lassen konnte. Danach geht das Leben weiter, im grossen und ganzen unverändert. Lediglich mit einem Menschen weniger. Würdest du mich vermissen, Daniel?
Lily






25. August - Lieber Daniel
Immer wieder spielt mein Hirn jene Stunden ab während welchen du zu meinem Leben gehört hast. Deine und meine Geschichte haben sich für einen Wimpernschlag überkreuz. Danach gingst du in deine Richtung weiter und ich in meine.
Mein Lieblingskaffe war übervoll an jenem Tag und an deinem Tisch noch ein Stuhl frei. Du warst erst höflich, dann distanziert freundlich und am Schluss waren wir die letzten die das Lokal verliessen. Erst als der Kellner unter unseren Stühlen zu kehren begann wachte ich auf und betrachtete erstaunt die Bilder in meinem Kopf die deine Worte gezaubert hatten. Fliegende Fische kreisten um die altmodische Lampe und im hohen Norden erschufen deine Worte ein rotes Sofa im Schnee. Ich bin sicher, das Sofa war rot, auch wenn du keine Farbe genannt hast.
Verwundert schaute ich dir in die Augen. Du standst auf, hieltest mir die Tür auf. Auf Wiedersehen sagte ich. Du hast nur gelächelt, geschwiegen und gingst.
Lily






1. September - Lieber Daniel
In meinen Gedanken drehen sich noch immer die Bilder meiner Lieblingsstadt. Das bunte Chaos. Die Musik in den Metrostationen, die von lästiger Werbung unterbrochen wurde. Denke an die Tage an denen ich kreuz und quer durch die Strassen lief um möglichst viel zu sehen. An einem dieser Tage traf ich auf dich.
Danach, bin ich immer wieder in jenes Kaffee zurück gekehrt, in der Hoffnung dich nochmals zu treffen. Ich wollte mehr von deinen verdrehten Ideen sammeln. Ich wollte nochmals deine Stimme hören. Ich wollte sicher sein, das es mehr war als einer meiner skurrilen Tagträume, zu welchen meinen Gehirn neigt wenn ich alleine bin. Du kamst nicht mehr. Ich war erst traurig, dann wütend, später verzweifelt. Am Morgen vor dem Abflug ging ich ein letztes Mal hin. Du warst nicht da. Wieder nicht. Ich hätte heulen können. Tat es aber nicht. Ich will keine dieser Frauen sein.
Lily






7. September - Lieber Daniel
Doch, ich bin mir sicher, dass du mir den Namen Daniel nanntest. Manchmal zweifle ich daran ob du mich nicht doch belogen hast. Damit ich dich nie wieder finden würde, oder so. Natürlich habe ich im Telefonbuch nachgeschaut, nur um zu merken, was ich natürlich vorher schon wusste, dass es sinnlos ist. Wie konntest du einfach verschwinden und mich nur mit einem Namen zurücklassen, von welchem ich nicht mal sicher weiss, dass es der richtige ist? Das ist grausam.
Der Alltag spaziert vor sich hin. Tag nach Tag. Im Gänsemarsch. Es gibt Tumorzellen die dies auch tun – Indianerreihe nennen wir dies dann. Keine Ahnung warum mir das jetzt gerade in den Sinn kommt.
Lily






18. September - Lieber Nachtfaltermann
Es gibt so vieles was ich dir noch hätte erzählen wollen. In diesen wenigen Stunden habe ich beschlossen, dass du der richtige Mensch dafür bist. Ich hätte dir von Dimitri der Stachelpalme erzählt und von Oskar dem Eisbären. Von der Elefantenwolke die mir vor drei Jahren plötzlich zugelächelt hat. Und davon wie das Mondschaf geboren wurde. Weil du es verstehen würdest. Weil du nicht darüber gelacht hättest. Weil es mindestens zwei Welten gibt und die Grenze in unserem Kopf liegt. Ich bin sicher, dass du mir in jenes Universum gefolgt wärst. Ich meine, hättest du sonst von kopflosem fliegendem Kabeljau gesprochen? Natürlich hast du dabei gelacht, es als Scherz getarnt. Das hätte jeder getan. Ich habe aber in deinen Augen gelesen, dass es mehr war.
Ich liebe dich.
Lily






29. September - Lieber Nachtfaltermann
Heute wurde M. auf unsere Abteilung verlegt. Glioblastoma multiforme stand in seinen Akten als Todesurteil. Auf meinem Monitor betrachtete ich lange sein Hirn mit dem unförmigen Klumpen darin. Wie kann das Grauen in seinem Kopf einen so schönen Namen haben? Das Vielförmige.
Wie lange ich auf den ovalen Schnitt seines Kopfes starrte weiss ich nicht. Kaum mehr als einige Minuten – die wie Ewigkeiten schienen. Der Richter über sein Leben und ich glotzten uns an. Er hat bösartig gegrinst, „diesmal gewinnt ihr nicht“. Das es meine chirurgischen Kollegen versucht hatten war im Röntgenbild deutlich zu sehen.
Tag für Tag kämpfen wir verbittert gehen den Tod und bilden uns ein es würde Sinn machen. Ringen ihm sekundenweise Leben ab. Doch am Schluss späht er jedes Mal lachend um die Ecke.
Lily






15. Oktober - Lieber Nachtfaltermann
Wo sind die Seifenblasen der Kindheit geblieben? Natürlich gibt es im meinem Kopf noch immer jene zweite Welt. Manchmal erwachen Wasserspeier zum Leben wenn sonst niemand hinschaut. Unter meinem Bett verstecken sich noch immer Monster. Ich sollte dir eines Tages Erik vorstellen, der mit seinen kleinen Zähnchen und dem Knurren, dass mehr nach Schnurren klingt, meint er sei gefährlich. Manchmal wenn ich Nachts wach liege setzt er sich neben mich auf die Bettkante und schaut mich aus seinen grünen Augen an.
Meine Märchen liegen versteckt hinter einer Schicht aus trockenem Realismus und zersplitterten Illusionen. Kaum jemand bekommt sie zu sehen. Dir würde ich sie ohne Zögern schenken weil auch du die Türen sehen kannst. Ich weiss es eben einfach.
Daniel, ich vermisse dich.
Lily






22. Oktober - Lieber Nachtfaltermann
Immer wieder frage ich mich, wo du gerade bist. Was tust du in diesem Augenblick? In meinem Kopf sehe ich die Plätze meiner Lieblingsstadt und stelle mir vor wie du sie überquerst. Wie du die selben Sachen siehst, die ich gesehen habe. In den selben Busen auf den selben Strecken fährst. Denke an Insomnia, deine leise Begleiterin seit Jahren, wie sie geräuschlos an deiner Seite steht und
der Wind ihr weissblondes Haar zerzaust.
Sind deine Pläne wahr geworden? Manchmal frage ich mich warum du mir so vieles erzählt hast wenn es von Anfang an dein Plan war einfach wortlos zu verschwinden. Ich bewunderte dich für den
Willen mit welchem du zu Träumen wagtest. Ich staunte über deine Hartnäckigkeit gegen die Schatten zu kämpfen. Wenigen Menschen wünsche ich so sehr wie dir, dass sie gewinnen.
Lily






2. November - Lieber Daniel
Jeden Tag bewegen wir und durch die Horrorgeschichten unsere Patienten. Der Panzer wird in jedem Moment kaum merkbar dicker. Manchmal zwängen sich trotzdem einige dieser Albträume durch.
M. ist vom Mensch zum Patient geworden als er den zweiten epileptischen Anfall erlitt und ihn der Notarzt zum „Ausschluss einer Raumforderung“ in die Röhre schob. Ausgeschlossen wurde überhaupt nichts. Es folgte die erste Operation. Es sei alles draussen, sagte man ihm. Irgendwann kam der nächste erste Anfall. Aus dem Keramiker und Blumenliebhaber ist in wenigen Monaten dieses gestrandete Schiff geworden.
Manchmal ertrage ich diese Augen nicht mehr die nach Leben schreien, nach Hoffnung betteln. Manchmal wende ich den Blick ab, zur türkisblauen Wand des Zimmers oder zur Infusionsflaschen die im Sekundentakt sterile Kochsalzlösung in die Venen schickt.
Lily






12. November - Lieber Nachfaltermann
Heute habe ich Papa angerufen, seit langem wieder einmal. Es ginge ihm gut sagte er mir. Ich solle mich nicht sorgen. Aber natürlich sorge ich mich weil er alt wird.
Ich habe dir damals erzählt, dass er Sternforscher ist - naja nicht wirklich, in meiner Welt nur. Aber er besass ein Teleskop. Welches wir als ich klein war in den Nächten gemeinsam aufbauten um fremde Planeten und Sterne zu betrachten. Ich staunte mit kindlichem Eifer über die Ringe Saturns und empfand Ehrfurcht als ich das erste unsere Nachbargalaxie erblickte.
Schau, noch heute sind die stummen Nachtlichter meine Gefährten in der Dunkelheit. Als leuchtende Freunde übersähen sie den Himmel weil ich sie beim Namen kenne. Der grosse und der kleine Bär, der Drache der sich gerissen um die beiden windet. Skorpion und Schlangenträger. Und Orion, mein Beschützer weil er mit dem Dolch am Firmament wacht.
Wenn du willst werde ich sie dir zeigen bis sie auch deine Bekannten sind, die du ohne Zweifel erkennst.
Lily






5. Dezember - Lieber Nachtfaltermann
Auf meinem Schreibtisch türmen sich die Aktenstapel. Pneumonie, dekompensierte Niereninsuffizienz, Exacerbation einer COPD - Diagnosen, Zimmernummern, Patientennamen die in meinem Kopf Walzer tanzen. Ein ununterbrochenen Strom an Geschichten und Menschen. Manche kommen einmal und werden geheilt entlassen, viele kommen immer wieder weil wir den Zerfall der menschlichen Biomasse nur bremsen können. Unsere Hülle ist nicht für die Ewigkeit geschaffen.
Für einige bleibt nur der Tod.
Der erste Schnee ist gefallen. In diesem Augenblick liegt ein Zauber. Es ist als ob die Welt für einen Moment den Atem anhalten würden bevor sie weiter rast. Schweigend tanzen die Schneeflocken durch die Luft, werden mir durchs offene Fenster ins Gesicht geschleudert. Kalt und nass krachen sie auf die Haut, in Sekunden ist ihre filigrane Struktur zerstört.
Die Natur stirbt den jährliche Tod. Dieses Jahr stirbt M. mit ihr.
Lily






24. Dezember - Frohe Weihnachten Daniel
Ich wünschte du könntest mich hören, ich wünschte ich hätte deine Telefonnummer, deine Adresse, deinen ganzen Namen. Irgendwas halt. Doch ich habe nichts ausser Erinnerungen an die fünf wichtigsten Stunden meines Lebens.
Nachtfaltermann, ein aus Schlaflosigkeit gewachsener Prinz eines fernen Landes, der eines Abends von betrunkenen Ganoven bewusstlos geschlagen wurde. Als er erwachte wusste er nichts mehr. Er klaubte die Amnesie von der dreckigen Strasse und erfand sich seine Vergangenheit neu. Ich habe den Prinz gesehen. Ich will ihn zurück. Wo ist die einäugige Hexe die mir eine Handel anbieten könnte? Ich würde meine Seele gegen eine einzige Stunde deiner Zeit eintauschen. Wünsche mir so
sehr ein Weihnachtswunder.
Lily






5. Januar - Lieber Nachtfaltermann
M. ist heute gestorben. Wie jedes mal ist mein Kopf wie in Watte gepackt. Wir haben verloren. Der Tod ist gross und stumm. Er frisst alle. Das ist das einzige faire am Leben. Heute war er an der Reihe.
Leben ist dieses Zeitfragment davor, an welchem wir so unglaublich verzweifelt hängen. Ich auch. Wir bauen Berge aus Hoffnung darin. Träumen Träume. Irren durch ein unverständliches Leben über welchen in jedem Moment das bei Geburt verhängte Todesurteil schwebt. Weil wir uns im Nichts auflösen sobald die elektrische Aktivität in unserem Hirn erlischt.
Lily






30. Januar - Lieber Daniel
Er ist schon lange her, jener Nachmittag der mein Leben verändert hat. Sechs Monate sind seither verstrichen. Jeden Tag habe ich an dich gedacht. Wochenlang kaum gegessen, zuwenig geschlafen, mich vor der Welt versteckt. Weil nur du wichtig warst. Frau Ulrich hat mich kürzlich im Treppenhaus angesprochen ich sehe schlecht aus, ich schob es auf die Arbeit im Spital. Letzte Woche war es eine meiner Kolleginnen die mich beim Mittagessen besorgt fragte was mit mir los sei.
Daniel, wie soll das mit uns weiter gehen? Ich kann nicht mehr.
Lily






3. März - Lieber Nachtfaltermann
Ich werde zurückkehren und dich suchen. Prinzen gibt es. In unserem Kopf. In der anderen Welt, die wir uns erschaffen. Manche Prinzen sterben wenn man sie ans Licht der Realität zerrt. Vielleicht werde ich den meinen ermorden müssen. Es bleibt mir nichts anderes übrig als das Risiko einzugehen. Bitte verzeih mir.
Lily

Sonntag, 20. März 2011

joker face

maske aus papmaché, bemalt mit acrylfarbe
foto von lia

Freitag, 18. März 2011

caput medusae

maske aus papmaché, bemalt mit acrylfarbe
foto von lia