Freitag, 7. Oktober 2011

und wir dachten wir wären anders

Niemals, haben wir gesagt, niemals, und haben den Kopf über jene geschüttelt, die damals gejubelt haben. Wir haben jene verachtet, die um ihr Leben schwiegen. Wir hätten anders gehandelt, sagten wir überzeugt.

Damals war Krieg und jetzt sind wir frei, sage ich zu dir.

Ich denke an die alten, körnigen Schwarzweissfotografien der Ruinen. Das einzige was von der einst stolzen Stadt übriggeblieben ist. Es war Krieg. Und ich wiederhole das Wort in meinem Kopf. Es ist nur ein Wort, denke ich. Denn wir kennen ihn nicht, den Krieg. Der Krieg, der ist anderswo. Es gibt ihn einzig in den Abendnachrichten, die bläulich durch die Wohnzimmer flackern.

Niemals, sagten wir. Wir hätten ihre Lügen nicht geglaubt. Es war absurd, und wir ziehen, ungläubig über deren Dummheit, die Augenbrauen hoch. Wie konnten sie sich so sehr irren, fragen wir entsetzt.

Wenn dir jeder sagt, die Tasse heisse Tisch, wie lange dauert es bis du es glaubst, frage ich dich.

In meinen Kopf wirbeln die Bilder der Mörder und der Opfer durcheinander, die wir gesehen hatten. Gesichter wie die unseren. Hast du ihre Augen gesehen, die von einer besseren Welt träumten? Genau wie wir, sage ich.

Es gab die Mutigen, erwiederst du. Jene die wussten, dass die Tasse Tasse hiess und sich nicht vom allgemeinen Geschrei über den Tisch beirren liessen.

Doch hätten wir dazugehört? Hätten wir am Ende nicht doch an die Lüge vom Tisch geglaubt? Ich schaue in deine Bernsteinaugen und wünschte, sie würden meine Zweifel zu zerstreuen vermögen. Sage mir, dass es anders gewesen wäre, fleht mein Blick.

Ich sage zu dir, jeder ist sich selbst der Nächste, und mein Magen zieht sich zu einem harten Klumpen zusammen, weil ich weiss, dass es wahr ist.

Du schweigst. Die Wahrheit weht eisig durchs warme Café und frisst die Worte.

Man hat immer eine Wahl, sage ich leise. Doch hätten wir richtig gewählt, damals?
Mutlos schüttle ich den Kopf. Die Zweifel haften klebrig am Gehirn und lassen sich nicht abschütteln.

Die Tassen klappern und das emsige Geschwätz dringt an meine Ohren. Jemand lacht laut und herzhaft auf. Für sie ist es ein gewöhnlicher Abend, denke ich und beneide sie um ihre Unbeschwertheit.

Mit einem Stirnrunzeln schaust du mich an. Ich zeichne ein Lächeln auf mein Gedicht und wende es dir zu. Du knuffst mich in die Seite und lachst. Es ist kein Krieg. Und ich will dir nicht den Tag verderben.

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