Montag, 23. Januar 2012

jetzt - bevor das letzte sandkorn fällt

Die Küchenuhr tickt die Sekunden eines müden Morgens. Regungslos lausche ich dem verstreichen der Zeit. Sie tickt unablässig, denke ich, selbst wenn niemand hinhört. Und zählt heimlich an der Wand, Tag für Tag.

1 Stunde besitzt 60 Minuten, rechne ich vor. Nur eine Stunde, denken wir, bloss eine winzige Stunde und schlagen sie achtlos tot.

Omas Uhr tickt nicht mehr. Stehen geblieben nach 2.4 Milliarden Herzschlägen. Oma war alt, denke ich. Oma hatte ihr Leben gelebt. Vielleicht, füge ich an.

Siehst du das feine Zittern der Stromleitung vor dem morgenblauen Himmel, frage ich dich und blicke zum schaukelnden Kabel empor.

Schon wieder ein Jahr verstrichen, sagen wir und fragen uns wo die vielen Stunden geblieben sind. Vom Alltag verschluckt, sage ich leise, Sekundenweise, damit keiner ihr Verschwinden bemerkt. Tausende von Runden dreht der Zeiger in seiner pausenlosen Wanderung.

Ein Vogel gleite über unsere Köpfe hinweg. Ich lächle und denke daran wie seine kleinen Lungenflügel ein und aus atmen. Genau wie die meinen, denke ich, und sehe zu wie seine Schwingen die Luft schneiden. Weil Luft nicht dasselbe wie Leere ist.

Natürlich habe ich schon viele Vögel gesehen, stimme ich dir zu und frage mich, wie ich die Einzigartigkeit dieses Augenblicks in Worte wickeln sollte. Weil die Uhr tickt, denke ich. Weil für das Leben der Repeat Button fehlt.

Jonathans Uhr ist zu früh stehen geblieben, sage ich zu dir. Er hatte keine Zeit. Aus dem Leben gerissen, wurde an der Beerdigung gesagt. Und ich weiss, dass es wahr ist. Unfälle sind die häufigste Todesursache bei jungen Menschen, wurde auch in unseren Vorlesungen gelehrt.

Die Zeit frisst sich stetig vor, sage ich leise zu mir selbst und schaudere ob dieser Gewissheit. Niemand weiss wann das letzte Sandkorn fällt. Der Tod siegt immer, sage ich zu dir, denn so ist das Leben.

Hörst du den Gesang des Teekessels, frage ich, und lausche dem leisen sirren und pfeifen des heiss werdenden Wassers. Es ist bloss ein Geräusch, sagst du und ich denke, dass dies wohl wahr ist, du dich aber trotzdem irrst.

Ich staune und lächle. Weil die Luft nach Kälte riecht. Weil die Sonne die kahlen Winterbäume in Licht kleidet. Das Leben ist schön, denke ich. Ich atme seine Zerbrechlichkeit und streiche mit meinen Fingerspitzen über die samtig weiche Oberfläche. Ich wünschte du könntest mit meinen Augen sehen.

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